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Präventionsverfahren schon in der Probezeit?
Änderung der Rechtsprechung?
Die Rechtslage:
Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte Menschen haben einen besonderen Kündigungsschutz: Vor dem Ausspruch einer Kündigung muss auf Antrag der Arbeitgeberseite die zuständige Behörde (Integrationsamt)regelmäßig die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung erteilt haben. Ohne Zustimmung wäre die Kündigung unwirksam. Dieser Kündigungsschutz besteht aber erst nachdem das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate ohne Unterbrechung bestanden hat, siehe § 173 Absatz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX).
Außer diesem Kündigungsschutz sieht § 167 SGB IX aber auch vor, dass der Arbeitgeber bei Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem Schwerbehinderten/Gleichgestellten Menschen frühzeitig unter anderem das Integrationsamt einzuschalten hat, um alle Möglichkeiten und ggf. finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen diese Schwierigkeiten beseitigt werden können. Dieses Verfahren wird Präventionsverfahren genannt.
Die Rechtsprechung:
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, muss dieses Präventionsverfahren in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses nicht durchgeführt werden, analog zu dem fehlenden besonderen Kündigungsschutz in den ersten sechs Monaten (Bundesarbeitsgericht vom 21.04.2016, 8 AZR 402/14).
In der gesetzlichen Regelung zu dem Präventionsverfahren ist diese Ausnahme für die ersten sechs Monate das Arbeitsverhältnisses jedoch nicht enthalten, anderes als in § 173 SGB IX.
In jüngster Zeit hat es nun Entscheidungen vom Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln vom 12.09.2024) und auch des Arbeitsgerichts Freiburg (ArbG Freiburg vom 04.06.2024, 2 Ca 51/24) gegeben, die entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von einer Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahren in den ersten sechs Monaten ausgehen.
Auswirkungen auf die Praxis:
Diese Rechtsauffassung hat erhebliche Auswirkungen, wenn das Arbeitsverhältnis mit einem Schwerbehinderten/Gleichgestellten in der Probezeit gekündigt wird: Wurde keine Präventionsverfahren durchgeführt, kann dies die Vermutung begründen, dass die Kündigung wegen der Behinderung ausgesprochen wurde und die Kündigung damit wegen des Diskriminierungsverbots in § 164 Absatz 2 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.
Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung ändern wird. Voraussichtlich im ersten Quartal des Jahres 2025 wird das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit haben, dies im Rahmen von zwei Revisionsverfahren zu klären.
Wir beobachten diese Entwicklung in der Rechtsprechung natürlich weiter und informieren Sie über die zu erwartenden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts.
Hinweis zur Klagefrist:
Wichtig in diesem Zusammenhang: Auch wenn eine Kündigung in der Probezeit ohne vorherige Durchführung des Präventionsverfahrens ausgesprochen wurde, muss diese Kündigung innerhalb der Frist von drei Wochen mit einer Klage angegriffen werden, da die Kündigung ansonsten als wirksam gilt!